Tage wie diese gehen weiter. Die Straße Nr. 86 endet für mich vorerst nach zwei Großbaustellen mit Ampelschaltung in Zalalövö bei annähernd 30 Grad im Schatten.
Früher befand sich hier, im römischen Salla an der Bernsteinstraße, eine Mansio, eine römische Raststation. „Mansiones waren im Abstand von 40 bis 50 Kilometern, also im Bereich einer Tagesetappe zu finden“, schreibt Werner Freudenberger in seinem Buch „Kultweg Bernsteinstraße“, „dort konnte man essen, schlafen, Pferde wechseln und ein Bad nehmen.“ Und: Die Bernsteinstraße war in diesem Bereich sogar gepflastert.
Nun, Pferde zu versorgen, der ich unterwegs auf „Schusters Rappen“ bin, habe ich nicht. Aber eine Schlafstelle, möglichst mit Bad, wäre mein sehnlichster Wunsch. Ein Hotel gibt es nicht, versichern mir befragte Passanten und auch die Bäckersfrau etwas verständnislos. Das vergilbte Hinweisschild im Ortszentrum mit dem Bettenlogo ist überholt. Die ehemaligen Hausbesitzer seien nach Deutschland verzogen, sagt mir die Frau an der Haustüre. Mein Tagesziel Zalalövö entpuppt sich als Durchgangsstation für den internationalen Lkw-Verkehr.
Da hilft nur noch die Kirche. Der St.-Martin-Pilgerweg ist in Ungarn teilweise identisch mit dem Verlauf des Bernsteinwegs. St. Martin ist einer der wichtigsten Heiligen des europäischen Christentums. Der Pilgerweg führt von seinem Geburtsort, Szombathely, nach Tours in Frankreich. Zalalövo liegt auf dem Weg. Womöglich hat die Kirche eine Pilger-Unterkunft?
Ich läute am Pastorat. Es öffnet ein Mann in schwarzer Hose und weißem T-Shirt, etwa Mitte vierzig. Es ist der Gemeinde-Pastor Istvan Horvath. Ich schildere ihm mein Dilemma und frage nach einer Unterkunft. Mit offensichtlichem Bedauern muss er mich abweisen und sagt: „Im nächsten Jahr, hier schauen Sie aus dem Fenster, das ist der Rohbau für eine Herberge.“
Er weiß, das hilft mir nicht weiter. Dann hat er doch noch einen Einfall. Auf dem Weg nach Körmend vermiete jemand eine Unterkunft. Nur etwa zwei Kilometer von hier. Er telefoniert ausdauernd, bis er bestätigt: Die Unterkunft ist frei. Erleichtert bedanke ich mich und gehe wieder an die Straße.
Aus den gut gemeinten zwei Kilometern werden vier. Endlich das Bettenlogo. Es verweist auf ein kleines, geducktes Siedlungshaus etwas abseits der Straße gelegen. Ich öffne die Gartentür, gehe um das Haus herum. Ein Schäferhund blinzelt mich träge an. Er bleibt ruhig. Hinter einem Zaun gackern Hühner.
Nach lautem Rufen, tritt an alter Mann an die Tür, schüttelt mit dem Kopf und verschwindet wieder. Kurz darauf zeigt sich eine alte Frau, die Mühe hat, sich zu bewegen und nicht zu verstehen ist. Es ist wohl Tanya, so der Name unter dem Bettenlogo.
Sie zeigt mir meine Schlafstätte im ausgebauten Geräteschuppen: zwei Etagen-Betten, WC, Dusche, Tisch und Stuhl, sogar ein Fernsehgerät. Nach WLAN frage ich nicht. Als ich telefonieren möchte, signalisiert mein Handy: „Möglich sind nur Notrufe“.
So kann es gehen, „an Tagen wie diesen“.
Hallo lieber Carsten,
alle paar Tage schaue ich in Deinen Blog und verfolge auf der Landkarte Deine Route. Du schreibst kurz und interessant, dass es Spaß macht zu lesen.
Weiterhin viel Freude auf dem weiten Weg nach Norden und schöne Erlebnisse und Begegnungen wünscht Dir
Kristiane