Bis an die Donau…

…weiter sind die Römer auch nicht gekommen. Nur hin und wieder setzten sie über den mächtigen Strom, um sich mit den renitenten Barbaren zur raufen, damit sie Ruhe geben. Ansonsten bot der Fluss einen natürlichen Schutz, der das Römische Reich über Jahrhunderte sicherte. Eine guter Anlass, wie ich finde, meinen Fußweg in der alten Römermetropole und Grenzstadt Carnuntum (zumindest vorläufig) zu beenden.

Hitzewelle in Österreich
Hitzewelle in Österreich

Doch es gibt auch andere Beweggründe: Es ist einfach zu heiß zum Wandern. Für kommenden Samstag wird eine Temperatur von 38 Grad erwartet. Und, um ehrlich zu sein, nach sechs Wochen Fußmarsch zeigt sich eine gewisse Müdigkeit. Dazu kommt, wie schon angeklungen, mit Beginn der Ferienzeit werden preisgünstige Quartiere zunehmend Mangelware.

Dies ist natürlich ein Appell an potentielle Sponsoren, sollte ich im nächsten Jahr meinen Weg fortsetzen. Vielleicht mit „Deichmann-Sandaletten“? Wobei ich klarstellen möchte, die luftigen Treter trug ich nur am ersten Wandertag. Ansonsten waren meine Füße sicher in den „professionellen“ Wanderschuhen von Globetrotter verschnürt. Sie waren nicht die Ursache für den „Blasen-Stopp“ in Celje. Die Marke verrate ich erst, wenn die Unterschrift unter dem Werbevertrag steht.

Rekonstruierte römische Bauten im Archäologiepark von Carnuntum
Rekonstruierte römische Bauten im Archäologiepark von Carnuntum

Auch die ehemals gut ausgebaute und heute weitgehend dokumentierte römische Trasse der Bernsteinstraße, endet an der Donau. Zur Römerzeit existierten außerhalb des Reiches keine Wege, die als Straßen zu bezeichnen wären. Es waren zumeist Abfolgen von Verbindungen zwischen Orten und Siedlungen, die häufig auch Flussläufen folgten. Daher ist es nicht immer eindeutig, auf welcher Route der Bernstein von der Ostsee bis an die Adria und die Handelswaren aus dem Süden an die Baltische Küste gelangten.

All dies will vor einer Fortsetzung „meines“ Bernsteinweges in Ruhe bedacht sein.

Und nicht zu guter Letzt! Vielen Dank für die zahlreichen positiven Anmerkungen, die mich in öffentlich und privat erreicht haben. Der Blog ist nicht beendet. Es gibt noch viele Begebenheiten und Anekdoten, die ich in der Eile des Fortschreitens nicht formulieren konnte, und die ich jetzt, mit erhoffter Muße, aufschreiben kann.

Zecken und Kanonen

„Tak-tak-tak“ und dann wieder „rums, rums“ hallt es in unregelmäßigen Abständen über die bewaldeten Hügel des Leitha-Gebirges. „Was veranstalten die Winzer nur für ein Feuerwerk, um von ihren Weinhängen die Vögel zu verscheuchen“, denke ich bei mir. Wenn das bis zur Weinlese anhält, wie kommen die ruhebedürftigen Urlaubsgäste damit zurecht?

Es ist nicht leicht, am frühen Morgen den rechten Weg von Jois am Neusiedler See nach Bruck an der Leitha zufinden. Es geht über Schotterwege fernab vom Autoverkehr, was allerdings mein Wandervergnügen erheblich fördert.

Zu meiner Erleichterung entdecke ich einen älteren Herrn, der seinen Langhaardackel spazieren führt. „Ja, Sie sind auf dem richtigen Weg, aber bleiben Sie auf dem Schotter“, rät er, „sonst wird es lebensgefährlich. Heute ist Gefechtsübung, es wird mit echter Munition geschossen.“ Und als ob er mir ein Geheimnis verrät, raunt er: „Das ist die Kfor.“

Auf dem Weg:  Nur Platzpatronen?
Auf dem Weg: Nur Platzpatronen?

Meinen Fehlschluss über die Knallerei empfindet er nicht abwegig. „Na, na, das mit dem Vogelverjagen geht erst im Herbst los.“ Als wir uns verabschieden, ruft er mir hinterher: „Und auf dem Weg bleiben, es könnte sonst teuer werden!“

Und tatsächlich, kurze Zeit später stoße ich immer wieder auf gelbe Hinweisschilder mit der unmissverständlichen Aufschrift: „DANGER DURING LIVE FIRING! STAY ON MARKED WAYS!“ Und zwischen den Bäumen entdecke ich eine weitere Warnung: „Bleiben Sie auf den Wegen! Zeckengefahr!“ Ein Wald voller Gefahren.

Freie Wege im Leitha-Gebirge
Freie Wege im Leitha-Gebirge

Auf halber Strecke verstummt der Gefechtslärm. Ein Jeep kommt über die Schotterpiste gebraust. Das muss richtig Spaß bringen. Ein junger Soldat springt heraus, läuft zu den gelben Schildern, klappt sie zusammen und schiebt die weiß-roten Balken beiseite, die die Nebenwege versperren.

Der Krieg ist vorbei. Nur die fiesen Zecken kennen keinen Frieden. Sie lauern weiter auf ihre Opfer.

Festival-Fieber

Die Seefestspiele in Mörbisch laden zu einer „Nacht in Venedig“ von Johann Strauss, St. Margarethen bietet „Tosca“ von Puccini und Illmitz wirbt für die Exkursion „Das Rindvieh als Landschaftspfleger“. Rund um den Neusiedler See sind das Festival-Fieber und die Urlaubssaison ausgebrochen.

Die Restaurants sind gut gefüllt, und Tausende von Fahrradfreunden ächzen mit und ohne Elektroantrieb die seichten Weinhügel hinauf. Zwischen den Rebstöcken treffen sich Jung und Alt, Sportliche und Wohlbeleibte, bunt Bedresste und Fahrer im Alltagslook. „Grüß‘ Gott, grüß‘ Gott!“ Sie erkunden den Kirschblüten- und Weinkulturradweg, die Römer- und Marc-Aurel-Etappe oder einfach nur die „Entdecker-Tour“.

Radfahrer  bei Schützen am Leithagebirge nahe  Neusiedler  See
Radfahrer bei Schützen am Leithagebirge nahe Neusiedler See

Und mit dem Festival-Fieber steigt auch die Preiskurve. In Mörbisch am See, dem ersten Ort nach Überqueren der ungarisch-österreichischen Grenze, warnt mich die Tourismus-Information, dass „sämtliche Quartiere ausgebucht“ sind.

Ich werde unruhig und setze mich in ein griechisches Restaurant, um zu überlegen, wie ich weiter vorgehe. Der Chef scheint sich meinem Problem annehmen zu wollen. „Ich kenn‘ da jemanden, Moment.“ Und spontan fragt er mich: „Was ist eigentlich mit dem HSV los?“ Und er grient: „Das wäre so, als würden Sie mich als Griechen fragen, ‚was ist eigentlich mit den Griechen los?‘.“ Nachdem ich bezahlt habe, verliert er sein Interesse an mir. Guter Geschäftsmann.

Im nächsten Ort, in Rust am See, erhalte ich eine Telefonnummer vom Hotel „Am Greiner“. Ja, wir haben noch ein letztes, sehr einfaches Zimmer frei, bestätigt mir die Dame am Telefon. Ich bin erleichtert, als ich den Preis erfahre, geschockt. Regulär kosten die Zimmer 122 Euro, versucht sie zu relativieren.

Nun gut, ich bin müde und weiß so recht keinen Ausweg. Das Hotel „Am Greiner“ wirkt beeindruckend, wie eine weißgetünchte Burg, hat ein Schwimmbad, bietet gesunde Kost, diverse Massagen und beweglicherhaltende Übungen an. Die müssen schöne Zimmer haben.

Hotel "Am Greiner" in Rust am Neusiedler See
Hotel „Am Greiner“ in Rust am Neusiedler See

Der freundlich-agile Herr von der Rezeption bringt mich in die zweite Etage zu meinem Zimmer. Wie sagt man: unterm Dach juche, mit schrägen Wänden und Kippfenster. So verbringe ich meine Nacht in Rust zu Preisen wie an der Seufzer-Brücke in Venedig. Auch gute Geschäftsleute.

Als ich übrigens morgens um sieben Uhr zum Frühstück gehe, öffnet sich die Nebentür eines weiteren Zimmers unter dem Dach. Der Kellner tritt heraus und springt behend die Treppe hinunter, um noch vor mir im Essenssaal einzutreffen.

On the Road Again…

…oder der gute Mensch von Unterloisdorf.

Er hat mich schon an der Straße hinter Rattersdorf gesehen, sagt er mir. Einen Wanderer sieht man selten. Der fällt auf in der hügeligen, fein geordneten Natur des Burgenlandes mit all den Weinstöcken, Korn- und Maisfeldern.

Er steht vor seiner Hofausfahrt, unsere Blicke begegnen sich, und er scheint regelrecht darauf zu warten, dass ich ihn nach dem Weg frage. „Der Bernsteinweg, kommen’s, ich zeig’s Ihnen, am besten, hinter meinem Hof, da kann ich’s Ihnen gut erklären.“ Und er sprudelt los. Beschreibt jede Kurve und Bodensenke, jedes Feld und jeden Knick. „Und da, nicht links nicht rechts, da müsssen Sie einfach nur über die Straße.“ Alles ganz eindeutig.

„Haben Sie Durst, Sie müssen doch Durst haben?“ Seine Frau bringt ein herrlich erfrischendes Getränk. Ich hab‘ die Mischung vergessen. War’s Birne mit Zitrone?

Stefan K. ist seit gut einem Jahr Rentner. Jetzt hat er Zeit. „Wissen’s was? Soll ich Sie da eben hinfahren, wo der Römerweg anfängt? Da kann ich Ihnen auch zeigen, wo Sie längs laufen müssen!“

Und schon sitzen wir in seinem Auto und fahren gemeinsam die beschriebenen Orte ab, halten an markanten Punkten, machen Aufnahmen. „Und hier habe ich gesagt…, und sehen Sie, und hier müssen Sie einfach nur über die Straße.“

Stefan K.  an der Bernsteinstraße bei Strebersdorf
Stefan K. an der Bernsteinstraße bei Strebersdorf

„Wo kommen Sie unter, in der Pension Schlossblick in Nebersdorf? Aha. Da fahre ich Sie eben vorbei. Oder wollen Sie die letzten vier Kilometer wieder laufen?“ Ich schaue bedenklich zum Himmel. Nach den Hitzetagen ist für das Burgenland Unwetter vorhergesagt. In der Ferne ziehen bereits dunkle Wolken auf. „Ach wissen Sie was, fahren Sie mich zur Pension“, bitte ich ihn.

Als ich in der Pension unter der Dusche stehe, entlädt sich heftiger Gewitterregen und setzt sich bis in die späten Abendstunden fort.

„Gut, dass Sie gestern rechtzeitig kommen saan. Eine halbe Stunde später wär’s problematisch worden“, sagt die Wirtin am nächsten morgen beim Frühstück, „wir haben 28 Liter auf den Quadratmeter gemessen, ‚s war aber auch bitter nötig!“

Bildungsurlaub mit Fitness

Wenn ich noch in Lohn und Brot stünde, wäre ich schon längst in der Personalabteilung vorstellig und hätte dort für die Zeit meiner Wandertour Bildungsurlaub beantragt. Ich weiß, Arbeitgeber sehen die Absents vom Arbeitsplatz aus Wissensdurst und Lernbedürfnis nicht gern. Und natürlich, zunächst hätte die zuständige Hamburger Behörde mein Bildungs-Projekt zertifizieren müssen.

Doch es ist überwältigend, welche Eindrücke auf den Wanderer auf dem Weg von gestern einstürmen. Es ist nicht das Wissen um die Bernsteinstraße. Es sind vor allem die vielen Informationen, Themen, Namen und Begebenheiten, die in der Region miteinander verknüpft und die auch historisch nicht zu trennen sind. Diese Route ist auch heute nicht nur ein Handelsweg. Mit ihr verbinden sich Staaten, Menschen und Kulturen.

Pannonien heute: Burgenland bei Neckenmarkt, nahe der Ungarischen Grenze
Pannonien heute: Burgenland bei Neckenmarkt, nahe der Ungarischen Grenze

Ein langer Teil meines Weges führt durch Pannonien. Vielleicht eine Bildungslücke, aber mit dem Begriff konnte ich bisher nichts anfangen (und auch mein vermaledeites Tablet-Schreibprogramm bietet mir nur „Pannendienst“ an).

„Das Gebiet zwischen Alpen und Donau erhielt von den Römern den Namen ‚Pannonien‘, aber die Region wuchs bereits vor der römischen Zivilisation zu einem einheitlichen Ganzen zusammen, da hier am Fuße der Berge die Bernsteinstraße verlief“, steht in einer Werbebrochüre der Stadt Szombathely (auf deutsch Steinamanger, in der Antike Savaria). Pannonien umfaßte Gebiete Ungarns, Sloweniens, Kroatiens und des Burgenlandes. Es gäbe da noch viel zu lernen und nachzulesen.

Da fällt mir, allerdings etwas zu spät ein: Meinem Arbeitgeber hätte ich die Genehmigung meines Bildungsurlaubs zusätzlich schmackhaft machen können. Nicht nur, dass ich alles finanziere, der Fußmarsch (auch wenn es mal eine Zwangspause gibt) diente auch dem Erhalt der körperlichen Fitness und damit der Arbeitskraft. Nun dient er, wenn alles gut geht, der längeren Inanspruchnahme der Rentenkasse.

Gefedert und gekühlt

Zu Fuß von der Adria an die Ostsee zu laufen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Vernünftige Menschen sagen, es sei ein verrücktes. Da liegen die Ansichten weit auseinander. Verständlich.

Wenn die Temperaturen bereits morgens um acht Uhr an 30 Grad kratzen und noch weitere fünf Grad im Laufe des Tages obendrauf kommen sollen, dann spielen Ehrgeiz und (Un)vernunft keine Rolle mehr. Es ist ganz simpel zu heiß. Und seit geraumer Zeit zähle auch ich mich nicht mehr zu den Jüngeren.

Da steige ich dann doch, wie heute morgen, in den Überlandbus. Ich will ja ehrlich bleiben und Niemandem etwas vorgaukeln. Wozu?

Welch ein erhebendes Gefühl nach vier Wochen Fußmarsch, weich gefedert und klimatisch heruntergekühlt, über die Landstraße zu schweben. Und nach einer halben Stunde in dem nächsten Ort, in dem die Römer ihre Spuren hinterließen, in Szombathely, auszusteigen.

Klar, die römischen Soldaten hatten diesen Komfort nicht. Was haben sie gemacht? Womöglich solange im Schatten campiert, bis die Hitzewelle vorbei ist. Ich hatte keine Lust, einen weiteren Tag im Hotel darauf zu warten. Und wenn es so heiß bleibt, werde ich, gezwungenermaßen, noch einmal in den Bus steigen müssen.

Auf dem Pilgerweg St. Martins

Tage wie diese gehen weiter. Die Straße Nr. 86 endet für mich vorerst nach zwei Großbaustellen mit Ampelschaltung in Zalalövö bei annähernd 30 Grad im Schatten.

Früher befand sich hier, im römischen Salla an der Bernsteinstraße, eine Mansio, eine römische Raststation. „Mansiones waren im Abstand von 40 bis 50 Kilometern, also im Bereich einer Tagesetappe zu finden“, schreibt Werner Freudenberger in seinem Buch „Kultweg Bernsteinstraße“, „dort konnte man essen, schlafen, Pferde wechseln und ein Bad nehmen.“ Und: Die Bernsteinstraße war in diesem Bereich sogar gepflastert.

Nun, Pferde zu versorgen, der ich unterwegs auf „Schusters Rappen“ bin, habe ich nicht. Aber eine Schlafstelle, möglichst mit Bad, wäre mein sehnlichster Wunsch. Ein Hotel gibt es nicht, versichern mir befragte Passanten und auch die Bäckersfrau etwas verständnislos. Das vergilbte Hinweisschild im Ortszentrum mit dem Bettenlogo ist überholt. Die ehemaligen Hausbesitzer seien nach Deutschland verzogen, sagt mir die Frau an der Haustüre. Mein Tagesziel Zalalövö entpuppt sich als Durchgangsstation für den internationalen Lkw-Verkehr.

Da hilft nur noch die Kirche. Der St.-Martin-Pilgerweg ist in Ungarn teilweise identisch mit dem Verlauf des Bernsteinwegs. St. Martin ist einer der wichtigsten Heiligen des europäischen Christentums. Der Pilgerweg führt von seinem Geburtsort, Szombathely, nach Tours in Frankreich. Zalalövo liegt auf dem Weg. Womöglich hat die Kirche eine Pilger-Unterkunft?

Ich läute am Pastorat. Es öffnet ein Mann in schwarzer Hose und weißem T-Shirt, etwa Mitte vierzig. Es ist der Gemeinde-Pastor Istvan Horvath. Ich schildere ihm mein Dilemma und frage nach einer Unterkunft. Mit offensichtlichem Bedauern muss er mich abweisen und sagt: „Im nächsten Jahr, hier schauen Sie aus dem Fenster, das ist der Rohbau für eine Herberge.“

Er weiß, das hilft mir nicht weiter. Dann hat er doch noch einen Einfall. Auf dem Weg nach Körmend vermiete jemand eine Unterkunft. Nur etwa zwei Kilometer von hier. Er telefoniert ausdauernd, bis er bestätigt: Die Unterkunft ist frei. Erleichtert bedanke ich mich und gehe wieder an die Straße.

Siedlungshaus abseits der Straße
Siedlungshaus abseits der Straße

Aus den gut gemeinten zwei Kilometern werden vier. Endlich das Bettenlogo. Es verweist auf ein kleines, geducktes Siedlungshaus etwas abseits der Straße gelegen. Ich öffne die Gartentür, gehe um das Haus herum. Ein Schäferhund blinzelt mich träge an. Er bleibt ruhig. Hinter einem Zaun gackern Hühner.

Nach lautem Rufen, tritt an alter Mann an die Tür, schüttelt mit dem Kopf und verschwindet wieder. Kurz darauf zeigt sich eine alte Frau, die Mühe hat, sich zu bewegen und nicht zu verstehen ist. Es ist wohl Tanya, so der Name unter dem Bettenlogo.

Unterkunft nahe Zalalövö
Unterkunft nahe Zalalövö

Sie zeigt mir meine Schlafstätte im ausgebauten Geräteschuppen: zwei Etagen-Betten, WC, Dusche, Tisch und Stuhl, sogar ein Fernsehgerät. Nach WLAN frage ich nicht. Als ich telefonieren möchte, signalisiert mein Handy: „Möglich sind nur Notrufe“.

So kann es gehen, „an Tagen wie diesen“.

„An Tagen wie diesen…

wünscht man sich Unendlichkeit“, singt die Punk-Band, die „Toten Hosen“ in ihrer Pop-Hymne auf unvergessliche Ereignisse. Nun, ich bin froh, dass Tage wie diese „endlich“ sind.

Hinter Lenti geht die Straße, wie alle Straßen in Ungarn, schnurgeradeaus. Kilometerweit. Ein Ende ist meist nicht in Sicht. Sie scheinen grenzenlos. 30 Kilometer nach Zalalövő liegen vor mir.

Nach etwa drei Kilometern Fußweg stoppt ein Polizeifahrzeug mit eingeschalteten rot-blauen Warnleuchten neben mir. Zwei Polizisten steigen aus. So ein merkwürdiger Kerl, allein mit einem gewaltigen Rucksack auf den Schultern in der ungarischen Puszta, da will ein Ordnungshüter doch wissen, was der hier treibt.

Aus ihrem strengen und bestimmten Ton, höre ich etwas von „Identität“ heraus. „Aha, deutsch“, sagt der jüngere Polizist, der meinen Ausweis kontrolliert. Alle Daten werden von ihm penibel in einen Block geschrieben. Der ältere spricht in ein Funkgerät.

Dann erzähle ich ihm, in möglichst vertrauensvollem Ton, meine Geschichte zur Bernsteinroute. Er ist begeistert. Der jüngere kommt mit dem Notieren nicht voran und fragt mich: „Carsten, sagen Sie, welche ist die richtige Nummer auf dem Ausweis?“ Leider kann ich ihm nicht helfen, und ich muss sagen: Es ist mir eigentlich ziemlich egal.

Bald verstehen wir uns so gut, dass ich mich traue, die beiden zu fragen, ob sie für ein Foto bereit stünden. Nein, das geht nun doch zu weit. Nicht im Dienst. Wir verabschieden uns. Und aus sicherer Distanz zücke ich doch noch meinen Apparat, und mache mich weiter auf den Weg in die magyarische Unendlichkeit.

„Alternativlose“ Strecken

„Um der Bernsteinstraße weiter zu folgen, müssen wir nicht wie die römischen Soldaten zu Fuß marschieren“, schreibt der österreichische Journalist Werner Freudenberger in seinem kenntnisreichen Buch „Kultweg Bernsteinstraße“.

Und recht hat er. Natürlich ist es leichter, sich ins Auto zu setzen und spontan die in Sichtweite gelegene Burg oder ein Heimatmuseum im Nachbardorf anzufahren. Aber zu Fuß, mit zehn Kilo Gepäck auf den Schultern? Der Radius eines Wanderers ist eben begrenzt. Viel Kraft und Energie werden auf den Weg verwand. Oder vergeudet?

Nun, ich habe mich für die Fortbewegung per Pedes entschieden. Die Bernsteinstraße liegt heute zum Teil unter glatten und asphaltierten Autobahnen und Schnellstraßen. Dort kann (sollte) ein Fußgänger natürlich nicht laufen. Doch immer wieder gibt es „alternativlose“ Strecken, wie etwa den slowenisch-ungarischen Grenzübergang bei Lendava.

Grenzübergang bei Lendava
Grenzübergang bei Lendava

Auf den Freiflächen parkt ein Pulk von Lastkraftwagen aus Südosteuropa. Ausgediente Abfertigungshallen rotten, gesichert durch Vorhängeschlösser, vor sich hin. Daneben ein Schnellimbiß, Wechselstube (Ungarn zahlt noch mit dem Forint) und Sanitärvorrichtungen für die Trucker. Und weiter führt die Strecke an der Schnellstraße Nummer 86 entlang, Richtung Zalalövö, unter der die antike Trassierung vermutet wird.

Immerhin, einmal habe ich auf meinem Weg quer durch Slowenien einen originalen römischen Fernweg betreten: In Celje, im Keller des Pokrajinski-Museums. Unter dem Gebäude wurden Teile der antiken Stadt Celeia freigelegt. Auf einem durchsichtigen Glasboden wandelt der Besucher heute über die 2000 Jahre alte Via Publica.

Jeruzalem

Findige Werbestrategen hätten sich keinen besseren Namen ausdenken können als: Jeruzalem. Ein Ort dieses Namens, der weltweit größte Emotionen weckt, liegt nicht (nur) in Nahost, sondern (auch) im nordöstlichen Slowenien, in der historischen Region Steiermark. Und alle Wege scheinen dorthin zu führen.

Gegründet von Kreuzrittern, steht Jeruzalem seit Jahrhunderten für höchste Weinkultur. Der edle Tropfen wird gemäß seines Namens, aber auch aufgrund seiner Qualität, weltweit vermarktet. Weniger populär ist das Gebiet bei Wanderfreunden und tretmüden Radlern. Denn zwischen den Weinbergen geht es immer wieder steil bergan und bergab.

Das Gotteshaus Jeruzalems mit dem etwas sperrigen Namen „Kirche der schmerzhaften Gottesmutter“ steht auf einem Hügel in einem Meer von Weinstöcken. Umstritten ist, wie der Flecken zu seinem Namen kam. Werbestrategen waren es wohl nicht.

Hauptaltar in der "Kirche der schmerzhaften Gottesmutter"
Hauptaltar in der „Kirche der schmerzhaften Gottesmutter“

Im Innenraum der Kirche hängt an der Wand in einem Rahmen die offizielle Version: „Die Kreuzritter ließen an mehreren Orten Türme mit heiligen Gemälden erbauen. Auch auf diesem Hügel wurde ein Turm mit dem Gemälde der traurigen Mutter Gottes errichtet.“ Und weiter: Dieses Bild soll eine Kopie eines Gemäldes aus Jerusalem sein. Es befindet sich am Hauptaltar. Deswegen soll der Ort den Namen „Jeruzalem“ erhalten haben.

Die inoffizielle Version: Die Kreuzzügler ließen ihre Kraft auf ihrem Weg ins Heilige Land bereits beim Durchqueren der deutschen und österrreichischeen Länder. Sie schafften es bis auf einen Hügel in der Steiermark. Diesen Ort benannten sie Jeruzalem. So konnten sie guten Gewissens gegenüber Jedermann behaupten, die heilige Stadt erreicht zu haben.