Geometrische Zentren eines Landes haben etwas Sakrales an sich. Monumente mit Inschriften, Flaggen und Kränze schmücken den Punkt. Sie bilden nicht nur den Mittelpunkt eines Landes. In ihnen kulminieren auch häufig Gründungs- und Staatsidee. Dazu werden sie als Ausflugsziel ausgestattet, mit Sitzbänken, lauschigen Plätzen und gemähtem Rasen. „Der geometrische Mittelpunkt Sloweniens ist einer der beliebtesten Ausflugspunkte“, steht bei visitljubljana.com.
Als mich am Morgen Wirt Zdenko Rajteric vor seiner Gostinice verabschiedet, beginnt es zu regnen. Pünktlich. Ich steige über Serpentinen zum 525 Meter hochgelegenen Dorf Vace, zu deutsch Watsch, auf. In dem kleinen Ort herrscht helle Aufregung. Ein Mann mit grauem Filzhut, es könnte der Zauberer Merlin sein, legt Kindern ein Zicklein in den Arm. Jedes Kind darf es einmal kurz halten. Dann holt er eine Schlange hervor und hängt sie den kreischenden Mädels und Buben um den Hals. „Das ist tiergestützte Pädagogik“, erklärt mir ein junger Lehrer, der ebenfalls zuschaut.
Unweit von Vace liegt der Geometrische Mittelpunkt Sloweniens. „Wenn Sie schon hier sind, dann müssen sie ihn sich anschauen“, sagt der Lehrer, der aus Lubljana kommt. Dann bekomme auch ich das Zicklein in den Arm und die Schlange um den Hals.
Der Regen nimmt zu. Ich stülpe mir mein Plastikcape über den Kopf, laufe los. Der GEOSS, so die Kurzbezeichnung, liegt verlassen in den wolkenverhangenen Bergen. Die Nationalflagge hängt leblos am Mast. Bei diesem Wetter geht jede pädagogische Wirkung auf den Staatsbürger verloren.